Hauptverband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs

Landesverband Steiermark und Kärnten

Das neue Vorverfahren nach dem Strafprozessreformgesetz (BGBl I 2004/19)

Das Strafprozessreformgesetz (BGBl I 2004/19), das am 1.1.2008 in Krafttritt, hat das bisherige strafprozessuale Vorverfahren tiefgreifend umgestaltet. Es ersetzt damit ein kompliziertes und teilweise nicht ausreichend geregeltes System von sicherheitsbehördlichen und staatsanwaltschaftlichen Erhebungen, gerichtlichen Vorerhebungen und gerichtlicher Voruntersuchung. Die neuen Vorschriften sollen für eine effiziente Strafverfolgung sorgen, die aber auch hinreichend gegen Grundrechtseingriffe geschützt wird.

Hier ist ein Überblick über die wichtigsten für Sachverständige relevanten Bestimmungen. Paragraphenzitate ohne Angabe des Gesetzes beziehen sich auf die Strafprozessordnung in der ab 1.1.2008 geltenden Fassung.

Begriff des Strafverfahrens

Das in der Strafprozessordnung (StPO) geregelte Strafverfahren ist ein Verfahren zur Aufklärung von Straftaten, Verfolgung verdächtiger Personen samt den damit zusammenhängenden Entscheidungen. Straftat ist jede nach einem Bundes- oder Landesgesetz mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung (§ 1 Abs 1).

Ablauf eines Strafverfahrens

Ein Strafverfahren beginnt, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat gegen eine bekannte oder unbekannte Personermitteln oder Zwang gegen eine verdächtige Person ausüben. Das Strafverfahren endet durch Einstellung oder Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft oder durch gerichtliche Entscheidung (§ 1 Abs 2).

Das Verfahren gliedert sich in

  • Ermittlungsverfahren: Aufklärung des Verdachts einer strafbaren Handlung durch  Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft (§ 2 Abs 1)
  • Hauptverfahren: Aufklärung der der Anklage zugrunde liegenden Tat und der Schuld des Angeklagten (§ 2 Abs 2)

Ermittlungsverfahren

Das Ermittlungsverfahren dient dazu, Sachverhalt und Tatverdacht durch Ermittlungen soweit zu klären, dass die Staatsanwaltschaft über Anklage, Rücktritt von der Verfolgung oder Einstellung des Verfahrens entscheiden kann und im Fall der Anklage eine zügige Durchführung der Hauptverhandlung ermöglicht wird (§ 91 Abs 1).

Ermittlung ist jede Tätigkeit der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, die der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat dient. Sie ist nach der in diesem Gesetz vorgesehenen Form entweder als Erkundigung oder als Beweisaufnahme durchzuführen (§ 91 Abs 2).

Das Ermittlungsverfahren wird von der Staatsanwaltschaft geleitet, ihr allein steht die öffentliche Anklage zu (§ 20 Abs 1). Bei Bezirksgerichten wird die Funktion von Bezirksanwälten ausgeübt (§ 20 Abs 2).

Dem Gericht (zuständig ist das Landesgericht) kommen folgende Aufgaben zu (§ 31 Abs 1):

  • Aufnahme von Beweisen in gewissen Fällen (§ 104)
  • Entscheidung über Anträge auf Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft
  • sowie auf Bewilligung anderer Zwangsmittel (§ 105),
  • Entscheidung über Einsprüche wegen behaupteter Verletzung eines subjektiven Rechts durch die Staatsanwaltschaft oder die Kriminalpolizei (§§ 106 und 107),
  • Entscheidung über Anträge auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens (§ 108)

Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft haben das Ermittlungsverfahren soweit wie möglich im Einvernehmen zu führen. Kann ein solches nicht erzielt werden, so hat die Staatsanwaltschaft die erforderlichen Anordnungen zu erteilen, die von der Kriminalpolizei zu befolgen sind (§ 98 Abs 1).

Die Staatsanwaltschaft leitet das Ermittlungsverfahren und entscheidet über dessen Fortgang und Beendigung. Gegen ihren erklärten Willen darf ein Ermittlungsverfahren weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (§ 101 Abs 1). Soweit dies erforderlich ist, stellt sie die erforderlichen Anträge bei Gericht. Sie hat gerichtliche Beweisaufnahmen zu beantragen, wenn an solchen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat und der Person des Tatverdächtigen ein besonderes öffentliches Interesse besteht (§ 101 Abs 2).

Einsatz von Sachverständigen (§ 126, 127 StPO)

Sachverständige sind zu bestellen, wenn für Ermittlungen oder für Beweisaufnahmen besonderes Fachwissen erforderlich ist, über welches die Strafverfolgungsbehörden durch ihre Organe, besondere Einrichtungen oder bei ihnen dauernd angestellte Personen nicht verfügen.

Die Bestellung erfolgt im Ermittlungsverfahren durch

  • die Staatsanwaltschaft (grundsätzlich)
  • für gerichtliche Ermittlungen oder Beweisaufnahmen durch das Gericht

Die Beteiligten des Verfahrens und die Kriminalpolizei sind über die Person zu verständigen, die bestellt werden soll. Liegt Gefahr im Verzug vor, so kann diese Verständigung auch nach der Bestellung erfolgen. Die Beteiligten des Verfahrens haben das Recht, binnen einer angemessen festzusetzenden Frist begründete Einwände gegen die ausgewählte Person zu erheben; darüber sind sie zu informieren.

Sachverständige haben Anspruch auf Gebühren nach dem Gebührenanspruchsgesetz 1975.

Bei der Befundaufnahme haben sie der Staatsanwaltschaft, dem Opfer, dem Privatbeteiligten, dem Beschuldigten und deren Vertretern Gelegenheit zur Anwesenheit zu geben, soweit dies von den Umständen her möglich ist und die Aufnahme des Befunds oder berechtigte Interessen von Personen nicht gefährdet.

Ist der Befund unbestimmt oder das Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft oder weichen die Angaben zweier Sachverständiger über die von ihnen wahrgenommenen Tatsachen oder die hieraus gezogenen Schlüsse erheblich voneinander ab und lassen sich die Bedenken nicht durch Befragung beseitigen, so ist ein weiterer Sachverständiger beizuziehen. Handelt es sich um eine Begutachtung psychischer Zustände und Entwicklungen, so ist in einem solchen Fall das Gutachten eines Sachverständigen mit Lehrbefugnis an einer in- oder ausländischen Universität einzuholen.

Wenn ein Sachverständiger die ihm gesetzte Frist zur Erstattung des Befundes oder Gutachtens oder der Übersetzung trotz Mahnung wesentlich überschreitet, kann er seines Amtes enthoben werden. Überdies kann das Gericht, wenn der Sachverständige die Verzögerung verschuldet hat, über ihn eine Geldstrafe bis zu 10 000 Euro verhängen.

Beendigung des Ermittlungsverfahrens

Das Ermittlungsverfahren kann folgendermaßen enden:

  • Einstellung (§§ 190 – 192)
  • Rücktritt von der Verfolgung (Diversion; §§ 198 ff)
  • Anklageschrift oder Strafantrag (§§ 210 ff)
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